Bestandsrückgang

Aufgrund der großen wirtschaftlichen Bedeutung der Flussperlmuschel in früheren Jahrhunderten sind viele Überlieferungen vorhanden, die auf die enorme Größe der damaligen Perlmuschelbestände schließen lassen. So wird von Muschelbänken mit mehreren zehntausend Individuen berichtet, die gesamte Bachabschnitte flächendeckend und teilweise in drei Lagen übereinander "pflasterten". RIEDL schrieb 1928 über eine in Linz aufbewahrte Mitra (Kopfbedeckung der Bischöfe), „die mit 3.000 bis 4.000 weißen Perlen, welche aus dem Kesselbach entstammen, geschmückt ist. " Bedenkt man, dass nur etwa jede 3000ste Muschel eine brauchbare Perle enthält, kann man sich von der damaligen Häufigkeit der Art ein Bild machen. Allerdings begann bereits im 19. Jahrhundert ein erster Rückgang der Flussperlmuschelbestände in Mitteleuropa. Damals wurden die strengen gesetzlichen Bestimmungen, die das Perlsuchen nur dem Adel erlaubten, gelockert und breite Teile der Bevölkerung begannen die Bäche regelrecht zu plündern. Dies führte freilich nur lokal zum Erlöschen von Muschelpopulationen, erst die massiven Eingriffe in die Gewässerökosysteme und deren Umland im 20. Jahrhundert brachten die Flussperlmuschel an den Rand der Ausrottung.
In Österreich wurden in den 1980er Jahren erstmals Untersuchungen über die Bestandssituation durchgeführt, gefolgt von einer flächendeckenden Bestandserhebung durch MOOG u. a. zu Beginn der 1990er Jahre. Der österreichische Gesamtbestand wurde damals auf 50.000 - 70.000 Individuen geschätzt. Man nimmt an, dass im 20. Jahrhundert die Gesamtpopulation in Mitteleuropa auf 2 - 3 Prozent der ursprünglichen Größe zurückgegangen ist. Wie die Bestandssituation aktuell aussieht ist aufgrund fehlender flächendeckender Untersuchungen nicht genau bekannt, Beobachtungen von Teilpopulationen deuten allerdings auf einen weiteren Rückgang hin.

Gefährdungsursachen

Arten, die sehr eng an bestimmte Umweltbedingungen angepasst sind, werden in der Ökologie als stenöke Arten bezeichnet. Sie reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraumes und sind von den Eingriffen des Menschen in die Ökosysteme am stärksten betroffen. Die Flussperlmuschel hat sich in ihrer mindestens 60.000.000 Jahre dauernden Entwicklung perfekt an das Leben in nahrungsarmen, kühlen Gewässern angepasst, weshalb sie als Musterbeispiel für eine stenöke Art gelten kann. Der im gesamten besiedelten Areal der Flussperlmuschel auftretende Rückgang der Bestände wurde aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades und dem früheren massenhaften Vorkommen dieser Weichtierart eine hohe Aufmerksamkeit zuteil. Deshalb sind die Gründe für den Bestandszusammenbruch heute relativ gut erforscht. Als Hauptursachen gelten:

Gewässerverschmutzung und Eutrophierung

Unter Gewässerverschmutzung im engeren Sinn versteht man anthropogen bedingten Eintrag organischer Substanz (z.B.: Fäkalabwässer, Abwässer aus der Papiererzeugung, Schlachthaus- und Molkereiabwässer), als Eutrophierung hingegen bezeichnet man den Eintrag von Nährstoffen (z.B.: Nitrat, Ammonium, Phosphat) in die Gewässer und das dadurch gesteigerte Algenwachstum. Beide Prozesse lassen sich in der Praxis jedoch oft nicht scharf voneinander abgrenzen. Durch den Bau von Kläranlagen ist heute der Eintrag aus Industrie und Haushalten in die Fließgewässer nur noch lokal von Bedeutung, dafür nimmt die Einschwemmung von Gülle und Dünger aufgrund der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft stetig zu. Die adulten Muscheln sind noch relativ resistent gegen Verschmutzung, doch konnte von BAUER nachgewiesen werden, dass auch deren Sterblichkeitsrate mit zunehmenden Nitratgehalt ansteigt. Besonders empfindlich reagieren die im Bachgrund vergrabenen Jungmuscheln auf Verschlechterungen der Wasserqualität. Es wird vermutet, dass es durch erhöhte Nährstoffkonzentrationen zu höheren Konzentrationen an organischem Material im Sedimentlückenraum (Interstitial) des Bachbetts kommt. Dies führt durch die vermehrte Abbautätigkeit der dort lebenden Mikroorganismen zur Verringerung der Sauerstoffkonzentration und die Jungmuscheln ersticken.

Eintrag von Feinsedimenten

Neben der Gewässerverschmutzung und Eutrophierung dürfte der übermäßige Eintrag von Feinsedimenten (Sand und Schlamm) hauptverantwortlich für den Rückgang der Flussperlmuschel sein. An der Lutter (Lüneburger Heide, Deutschland), die eine gute Wasserqualität aufweist, fand bis vor wenigen Jahren keine Reproduktion der Flussperlmuschel mehr statt. Deshalb wurde intensiv an der Reduktion der Feinsedimenteinträge ins Gewässer gearbeitet, was dazu führte, dass dort der Flussperlmuschelbestand - im Gegensatz zu allen anderen europäischen Vorkommen - heute zunimmt. Von hohen Feinsedimentkonzentrationen sind ebenfalls die im Bachgrund lebenden Jungmuscheln am stärksten betroffen: verschlammt die Gewässersohle, wird der Sedimentlückenraum nicht mehr von sauerstoffreichen Bachwasser durchströmt und die Tiere ersticken. Feinsedimente gelangen vor allem von Ackerflächen und über Drainagerohre in die Gewässer. Aber auch angepflanzte Fichtenmonokulturen führen zu vermehrten Einträgen, da sie das Sonnenlicht abschirmen und sich deshalb keine Krautschicht ausbilden kann, die die Bodenerosion in naturnahen Wäldern verhindert. Leider sind im 19. und 20. Jahrhundert gerade im Mühlviertel die natürlich vorkommenden Laubwälder fast flächendeckend durch Fichtenforste ersetzt worden. Weitere häufige Ursachen für hohe Feinsedimentkonzentrationen in Gewässern sind Ufererosion aufgrund fehlender Begleitgehölze und Bauarbeiten in Gewässernähe.

Gewässerversauerung

Die Gewässer des Mühlviertels weisen von Natur aus eine sehr geringe Pufferkapazität (=Fähigkeit pH-Schwankungen abzupuffern) und leicht saure pH-Werte auf. Deshalb sind sie von der Gewässerversauerung besonders stark betroffen. Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche, vom Menschen verursachte Prozesse, die zu einem Absinken des pH-Wertes im Boden und in den Gewässern führen:

 

Saurer Regen

Durch das Verbrennen fossiler Energieträger (Erdöl, Kohle) gelangen Schwefel- und Stickstoffverbindungen in die Atmosphäre, die als „Saurer Regen" niedergehen. Dieser Prozess war eines der großen Umweltprobleme der 1970er Jahre, durch den Einbau von Filteranlagen und die Reduktion des Schwefelgehalts in den Brennstoffen geht der saure Niederschlag in Mitteleuropa in den letzten Jahren wieder zurück.

 

Fichtenmonokulturen

Fichtenmonokulturen, die leider immer noch häufig anstelle der natürlich vorkommenden Laubwälder aufgeforstet werden, haben nicht nur zahlreiche wirtschaftliche Nachteile (z.B.: hohe Anfälligkeit auf diverse Umwelteinflüsse), sie führen auch zu einer Versauerung des Bodens. Auf feuchten Standorten in Gewässernähe angepflanzte Fichtenbestände tragen darüber hinaus auch zu deren Versauerung bei.

 

Besonders in Skandinavien, aber auch bei uns, stellt die Gewässerversauerung ein großes Problem für die Flussperlmuschel dar. Wie bei den beiden oben genannten Gefährdungsfaktoren reagieren vor allem Jungmuscheln besonders empfindlich auf niedrige pH-Werte, wobei nicht genau geklärt ist, auf welche Weise dieser die Sterblichkeit beeinflusst. Belegt ist, dass durch niedrige pH-Werte im Boden gebundene, giftige Metallionen (vor allem Aluminium) in Lösung gehen, die z. B.: Fischsterben verursachen können. Diese könnten auch zur Vergiftung der Muscheln führen. Einer anderen Hypothese zufolge führt die Versauerung zu einem Herauslösen von Kalzium aus der Nahrung der Jungmuscheln. Diese benötigen große Kalziummengen zum Aufbau ihrer Schalen.

Gewässerverbauung und Stauhaltung

In stark verbauten oder gar aufgestauten Gewässern verändert sich die Zusammensetzung und Verteilung der Bachbettsedimente, was sich wiederum negativ auf die dort lebenden Tierarten auswirkt. Da die Flussperlmuschel sehr hohe Ansprüche an die Sedimentzusammensetzung stellt, ist sie nur in Gewässern mit einer natürlichen Ufer- und Sohlstruktur zu finden. Wichtig ist auch ein möglichst breiter Streifen aus Uferbegleitgehölzen, der eine starke Erwärmung des Wassers und großflächige Ufererosion verhindert.

 

Perlräuberei

Die Perlräuberei war die Ursache für den ersten Rückgang der Flussperlmuschelbestände im 19. Jahrhundert. Zwar werden die Perlen nicht mehr kommerziell genutzt, doch töten auch heute noch Einzelpersonen immer wieder Muscheln, in der Hoffnung Perlen zu finden.

 

Bisamratten

Erwachsene Flussperlmuscheln hatten bei uns keine natürlichen Feinde, bis der Mensch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die nordamerikanische Bisamratte (Ondatra zibethicus) nach Mitteleuropa einführte. Diese ernährt sich zwar vorwiegend vegetarisch, frisst aber auch Muscheln. Bis vor einigen Jahren war die Bisamratte im Mühlviertel durchaus häufig. Seit sich hier die Fischotterbestände wieder etwas erholen, wird sie jedoch zusehend seltener bzw. verschwindet ganz, da dieser sie offensichtlich intensiv als Nahrungsquelle nutzt. Der Fischotter (Lutra lutra) ernährt sich nicht von Flussperlmuscheln.

 

Falscher Fischbesatz

Leider werden heute immer noch Fließgewässer mit Regenbogenforellen (Oncorhynchus mykiss) besetzt. Diese nordamerikanische Art verdrängt die heimische Bachforelle (Salmo trutta), die für die Flussperlmuschel die einzige geeignete Wirtsfischart darstellt. Wird die Regenbogenforelle zur Attraktivitätssteigerung für untalentierte Angler, die nicht fähig sind, einen Wildfisch aus einem natürlichen Gewässer zu überlisten, in großen Mengen in fangfähigen Größen besetzt, dezimiert sie den Bestand an jungen Bachforellen, und diese fehlen als Wirte für die Muschellarven. Durch die Wiederausbreitung des Fischotters im Mühlviertel wird diese Form der „Bewirtschaftung" von Angelgewässern zum Glück erschwert, da er sich natürlich vorwiegend von den degradierten Besatzfischen ernährt. Dadurch werden die Fischereiberechtigten gezwungen, ihre Gewässer in Zukunft naturnaher zu bewirtschaften.

Vom Autor gefangener nordamerikanischen Bachsaibling (Salvelinus fontinalis) aus dem Waldviertel.
Vom Autor gefangener nordamerikanischen Bachsaibling (Salvelinus fontinalis) aus dem Waldviertel.

hauptächlich verwendete Literatur:

 

ALTMÜLLER, R. & DETTMER, R. (2006): Erfolgreiche Artenschutzmaßnahmen für die Flussperlmuschel Margaritifera margaritifera L. durch Reduzierung von unnatürlichen Feinsedimentfrachten - Erfahrungen im Rahmen des Lutterprojekts,

Internet: www.nlwkn.niedersachsen.de

 

BAUER, G. & WÄCHTLER, K. (Hrsg.) (2001): Ecology and Evolution of the Freshwater Mussels Unionoida, Ecological Studies 145, Springer-Verlag, Berlin

 

GUMPINGER et al. 2002


SACHTELEBEN et al. 2004

 

alle Bilder: Michael Jung, außer "Bachsaibling": Christopher Jung