Körperbau
Betrachtet man eine lebendige Muschel, so ist nur die äußere Schale zu sehen. Diese besteht tatsächlich aus drei unterschiedlichen Schichten: außen liegt das aus Proteinen (Eiweiß) aufgebaute, bei der Flussperlmuschel schwarz gefärbte Periostracum, das die beiden inneren Kalkschichten vor dem Auflösen schützt, dann folgt eine Schicht aus Calcit (Ostracum) und schließlich die innen liegende, glänzende Perlmuttschicht aus Aragonit (Hypostracum). An leeren Schalen sind hier deutlich 2 ovale Stellen zu erkennen. Dabei handelt es sich um die Ansatzstellen der beiden Schließmuskeln, mit denen die lebende Muschel die beiden Schalenklappen - zum Beispiel bei Berührung durch einen potentiellen Fressfeind - schließt. Der Antagonist (Gegenspieler) der Schließmuskeln ist kein Muskel, sondern das Schlossband oder Ligament an der Oberseite (Dorsalseite) der Muschel. Dieses spreizt die beiden Schalenklappen auseinander. Stirbt das Tier, so erschlaffen die Schließmuskeln und die Muschel öffnet sich.
Das wohl auffälligste Merkmal der Muschelanatomie ist der fehlende Kopf. Trotz dieser Tatsache besitzen Muscheln Sinnesorgane, die am Mantel, der an die Schale anschließt und den gesamten Weichkörper umgibt, in der Nähe der Ein- und Ausströmöffnung liegen. Dabei handelt es sich um Tentakeln, die auf Berührung reagieren, Geschmacksinneszellen und Augen. Der Körperbau einer Muschel wird oft mit einem Buch verglichen. Innerhalb der Schalen und des Mantels, die dem Buchdeckel entsprechen, liegen insgesamt vier Kiemen, die verschiedene Funktionen erfüllen: neben der Atmung dienen sie auch der Erzeugung eines Wasserstroms, der Filtrierung von Nahrungspartikeln und als Brutraum (Marsupien) für die heranreifenden Larven. In der Mitte befindet sich der so genannte Fuß, der zum Graben dient und mit dessen Hilfe die Tiere beachtliche Ortsveränderungen durchführen können.
Fortpflanzungsstrategie und Lebenszyklus
Die Fortpflanzungszeit der Flussperlmuschel beginnt in unseren Breiten meist im Juli, wenn die Weibchen ihre in den Gonaden herangereiften Eier in die Mantelhöhle abgeben. Dort werden sie in spezielle Bruträume (Marsupien), die sich in den Kiemen gebildet haben, aufgenommen. Die männlichen Flussperlmuscheln geben die produzierten Spermien ins vorbeifließende Wasser ab. Stromab davon sitzende Weibchen nehmen die Spermien über das Atemwasser auf und es erfolgt die Befruchtung der Eizellen in den Marsupien. Innerhalb von 5 bis 7 Wochen entwickeln sich winzige, nur etwa 0,07 mm große Larven, die als Glochidien bezeichnet werden. Im Durchschnitt produziert jedes geschlechtsreife Weibchen 4.200.000 Glochidien pro Jahr, allerdings ist die tatsächliche Anzahl an produzierten Larven vom Ernährungszustand des Muttertieres abhängig.
Die reifen Glochidien können sich nur zu einer fertigen Jungmuschel entwickeln, wenn sie nach Verlassen des Muttertieres in den Kiemenapparat eines Fisches gelangen, wo sie sich festsetzen und für etwa 8 - 10 Monate parasitisch von Blut und Gewebe ernähren. Allerdings sind für die österreichischen Flussperlmuschelpopulationen ausschließlich junge Bachforellen (Salmo trutta) als Wirtsfische geeignet, alle anderen Arten sowie adulte Bachforellen stoßen die Muschellarven ab. Interessanterweise sind Populationen von Margaritifera margaritifera in anderen Teilen ihres Verbreitungsgebietes an andere Wirtsfischarten gebunden. Dies gilt zum Beispiel in Russland für den Atlantischen Lachs (Salmo salar), in Nordamerika kann sich die Flussperlmuschel auch an Bachsaiblingen (Salvelinus fontinalis) entwickeln. Der Bachsaibling und vor allem die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) werden leider in großen Mengen von Anglern in unsere Gewässer eingebracht, wo sie die heimischen Bachforellen verdrängen. Für die dort lebenden Flussperlmuscheln sind sie allerdings nicht als Wirtsfische geeignet.
Etwa im Mai verlassen die nun 0,5 mm großen Jungmuscheln die Kiemen der Bachforellen und sinken auf den Bachgrund. Dort gelangen sie in das Lückensystem der Bachbettsedimente (hyporheisches Interstitial), wo sie 5 bis 8 Jahre verbringen. Leider ist dieses empfindlichste Stadium bis heute noch relativ unerforscht. Unklar ist zum Beispiel, ob sich die Jungmuscheln in dieser Zeit von Detritus (abgestorbenes pflanzliches bzw. tierisches Material) oder auf den Sedimentpartikeln lebenden Mikroorganismen (Biofilm) ernähren.
Wenn sie eine Länge von etwa 3 bis 4 cm erreicht haben, kommen die Muscheln an die Sedimentoberfläche und ernähren sich von nun an, indem sie Detritus aus dem vorbeifließenden Wasser filtrieren. Im Alter von zirka 15 Jahren erreicht die Flussperlmuschel die Geschlechtsreife, das Maximalalter beträgt in Mitteleuropa 110 Jahre, in Skandinavien angeblich sogar 280 Jahre.
hauptsächlich verwendete Literatur
BAER, O. (1995): Die Flussperlmuschel Margaritifera margaritifera (L.): Ökologie, umweltbedingte Reaktionen und Schutzproblematik einer vom Aussterben bedrohten Tierart, Die neue Brehm-Bücherei Bd. 619, Spektrum Akademischer Verlag, Magdeburg
GUMPINGER et al. 2002
WEHNER & GEHRING 1995
alle Bilder: Michael Jung